Selbstfürsorge
+ Kapitelübersicht anzeigen
Was im Pflegealltag helfen kann, gesund zu bleiben
Ergebnisse einer Studie zur Belastungssituation pflegender Eltern
In einer Studie aus dem Jahr 2019 ist Professorin Christa Büker (Professorin für Pflegewissenschaften an der FH Bielefeld) der Frage nachgegangen, inwieweit sich die Pflege eines Kindes auf die Gesundheit der Mütter auswirkt.
Warum nur Mütter? Weil sehr häufig die Mutter die Hauptpflegeperson des Kindes ist. Selbstverständlich haben pflegende Väter ähnliche oder die gleichen Belastungen, weswegen sie sich von den folgenden Erkenntnissen auch gerne angesprochen fühlen dürfen.
Die befragten Mütter, die bereits seit mehreren Jahren die Pflege ihres Kindes hauptverantwortlich durchführen, konnten für sich benennen, dass ihnen folgende Strategien im Pflegealltag helfen, gesund zu bleiben:
- Das Schaffen eines verlässlichen Betreuungspools
„Um sich selbst zu entlasten und Auszeiten zu ermöglichen, bleibt den Müttern nichts anderes übrig, als ihr Kind in andere Hände zu geben“ (Büker und Pietsch 2019, Seite 29). Das stellt für viele Mütter eine besondere Herausforderung dar. Umso wichtiger ist ein Unterstützungsnetzwerk bestehend aus Freundinnen und Freunden, Verwandten und professionellen Dienstleistern, denen Sie vertrauen können.
- Gegenseitige Entlastung in der Partnerschaft
Es wird als entlastend beschrieben, sich in der Pflege und Betreuung hin und wieder von der Partnerin oder dem Partner unterstützen zu lassen. Hilfreich kann dabei sein, zu akzeptieren, dass er Aufgaben vielleicht anders ausführt. „Dann stellen die Väter oftmals die wichtigste Ressource dar, indem sie sich um die Geschwisterkinder kümmern [oder] Nachtschichten (…) übernehmen (…)“ (Seite 29).
- Austausch mit Eltern, die sich in einer ähnlichen Situation befinden
Viele der interviewten Mütter berichten, dass der Austausch mit anderen betroffenen Müttern eine große Unterstützung für sie darstellt. Sie beschreiben, dass sie sich hier „angenommen und zugehörig“ fühlen (Seite 30). „Außerdem erhalten sie in den Gruppen oftmals wertvolle Informationen, z. B. wenn es um Antragstellungen oder Tipps für den Alltag geht“ (Seite 30). Auch Mütterseminare, die ein gesamtes Wochenende lang stattfinden, werden trotz des hohen organisatorischen Aufwands als sehr wohltuend beschrieben.
„Also die Frauen, die da das erste Mal dabei sind, die sagen: ‚Ja, es ist schwierig oder ich muss so viel organisieren‘ […]. Und wenn sie dann einmal dieses Wochenende ‚überlebt‘ haben, dann sagen sie: ‚Oh, das war super! Ich geh wieder mit‘ “ (Seite 30).
- Körperliche Aktivitäten
„Zu den häufigsten Strategien zur Gesunderhaltung gehören Bewegung und Entspannung (…). Aktivitäten wie Laufen, Walken, Schwimmen, Pilates, Kieser-Training oder Wandern werden als körperlich und mental entlastend empfunden“ (Seite 28). Auch Yoga, Qi-Gong oder Autogenes Training werden als wohltuend beschrieben. Natürlich können auch alle anderen Bewegungsarten hilfreich sein. Auch kleine Einheiten von wenigen Minuten helfen.
- Hobbys
„Wichtig sind ferner Freizeitaktivitäten und Hobbys, die mit anderen ausgeübt werden, wie beispielsweise Chorsingen oder Musizieren. Die regelmäßigen Treffen werden als ‚Seelenbalsam‘ und sogar als ‚heiliger Abend‘ bezeichnet. Die Verwendung dieser Metaphern zeigt, wie wichtig diese Auszeiten sind, (…)“ (Seite 28).
- Was auch immer guttut
Alles, was Freude macht oder entlastet, wie z. B. das Schaffen „(…) einer schönen Wohnumgebung, Gartenarbeit, (...) Nutzung alternativer Medizin (Osteopathen, Heilpraktiker). Physiotherapie, Massagen, gelegentliche Abende allein mit dem Partner zum gemeinsamen Essengehen, Entlastung durch eine Reinigungskraft“ (Seite 31).
- Berufstätigkeit
„Auch die Berufstätigkeit wird (…) als Strategie bezeichnet, um gesund zu bleiben und den pflegerischen Alltag für eine kurze Zeit hinter sich zu lassen. Berufstätig zu sein bedeutet nicht nur eine willkommene Abwechslung, sondern auch die Chance, nicht immer nur als Mutter eines behinderten Kindes wahrgenommen zu werden“ (Seite 31).
Es wurde belegt, dass pflegende Eltern erhöhte gesundheitliche Risiken in vielerlei Hinsicht tragen: Verspannungen, chronische Schmerzen, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und soziale Isolation seien hier nur beispielhaft genannt. Die pflegebedingte körperliche Anstrengung, fehlende Auszeiten und Pausen sowie psychische Belastungen und viele weitere Aspekte tragen dazu bei. Allein ist dieser Kreislauf kaum zu unterbrechen. Pflegende Eltern brauchen spezifische und frühzeitige Angebote, um sich um sich selbst und ihr Gesundbleiben kümmern zu können. Dazu gehört auch der Ausbau von qualifizierten Betreuungsmöglichkeiten für Kinder mit komplexen Behinderungen. Studien wie diese sind ein wichtiger Schritt, auf die Bedürfnisse pflegender Eltern und erforderliche Unterstützungsangebote aufmerksam zu machen.
Bei Interesse an den kompletten Ausführungen von Prof. Dr. Christa Büker und Severin Pietsch, M.A. mit dem Titel „Gesundheitsbezogene Lebensqualität von Müttern mit einem pflegebedürftigen Kind (GesuLeM)“, sprechen Sie uns gerne an.
Austausch mit anderen
Es kann befreiend sein und Ihre Seele entlasten, über die eigenen Gefühle zu sprechen.
Hierfür bieten sich zum Beispiel Treffen mit anderen Familien an, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden. Wer könnte mehr Verständnis für Ihre Situation aufbringen als jemand, der Ähnliches durchmacht? Es kann sehr wohltuend sein, Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen zu entdecken, sich über Erfahrungen auszutauschen und vielleicht voneinander lernen zu können. Es kann auch bereichernd für Sie sein, Ihre eigenen Erfahrungen an andere weiterzugeben.
Selbsthilfegruppen und Angebote, die gezielt für Eltern von pflegebedürftigen Kindern/Kindern mit Behinderung ausgerichtet sind (in Form von Tages-/oder Wochenendseminaren) können eine kraftspendende Form der Entlastung und des Ausgleichs sein. Selbsthilfeverbände und Vereine machen Angebote zum Austausch und zur Entlastung, die Sie auf unserer Website www.lumiastiftung.de/veranstaltungen/ finden.
Trotz des teilweise hohen organisatorischen Aufwands ist eine Teilnahme an solchen Veranstaltungen für die meisten Menschen lohnenswert. Die Rückmeldungen vieler Eltern sind voller Begeisterung.
Um mit Gefühlen in Kontakt zu kommen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, gibt es weitere verschiedene Möglichkeiten. Sich einem Tagebuch anzuvertrauen kann helfen, um sich zu sortieren und um Schmerz und Hoffnung und alles Weitere zu formulieren und abzulegen. Auch kreatives Malen kann hilfreich sein, um Gefühlen und Erlebtem Ausdruck zu verleihen. Aber auch Tätigkeiten wie handwerkliches Arbeiten oder Ausdauersport bieten Manchen Gelegenheit, Gefühle zu lösen und den Gedanken ihren Lauf zu lassen.
Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihre seelische Belastung auf Dauer zu hoch ist, möchten wir Sie darin bestärken, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Psychotherapie setzt keine psychische Erkrankung voraus, sondern kann auch bei besonderen Belastungen in Anspruch genommen werden und sehr hilfreich und entlastend sein. In einer psychotherapeutischen Behandlung haben Sie die Möglichkeit, Gefühlen, Befürchtungen und Gedanken kontrolliert Raum zu geben, über Ihr Erleben zu sprechen und Verständnis, Mitgefühl sowie Unterstützung zu erhalten.
Unser Tipp:
Leider haben psychotherapeutische Praxen, die von der Krankenkasse bezahlt werden, oft lange Wartelisten. Kurzfristige Termine erhält man unter der bundesweiten Telefonnummer 116 117.
Wenn Sie Hilfe bei der Suche benötigen, nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf.
Auch im Internet können Sie persönliche Unterstützung in Form einer psychologischen Online-Beratung erhalten. Die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Seite www.pflegen-und-leben.de bietet eine kostenfreie und datensichere Online-Beratung durch erfahrene Psychologinnen und Psychologen für pflegende Angehörige.
Trauern und Abschied nehmen
In unserer Kultur wird Trauer überwiegend mit Tod verbunden. Dabei können viele Verlusterfahrungen Trauer auslösen. Die lebensverändernde Erkrankung des eigenen Kindes bedeutet auch einen vorübergehenden oder vollständigen Abschied – von Wünschen und Plänen, die man für das Kind hatte, und manchmal auch von der Hoffnung auf die vollständige Genesung des Kindes.
Trauern ist gesund, egal welchen Verlust man erlitten hat. Es ermöglicht uns die Einordnung des Geschehenen in unser Leben und die Akzeptanz der Veränderung. Wenn wir Trauer vermeiden, birgt es hingegen die Gefahr, dass sich unsere Kräfte zunehmend erschöpfen.
In unserem Heft „Zwischen Hoffnung und Trauer“ gehen wir ausführlich auf die Themen Verlust und Trauer ein und geben weitere Anregungen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Auch der Bericht einer betroffenen Mutter mit dem Titel „Von der Notwendigkeit zu trauern, denn trauern ist gesund…“ ist enthalten.

Auch mal an sich denken
Um den Akku wieder aufzufüllen und Kraft tanken zu können, ist es notwendig, den eigenen Bedürfnissen ausreichend Priorität zu geben. Welches sind Ihre Bedürfnisse? Welche Dinge haben Ihnen früher Freude gemacht? Wie können Sie solchen Erlebnissen nahe kommen?
„Ich lese ihr vor, spreche mit ihr, massiere sie. Und inzwischen habe ich gelernt, dass ich auch einfach bei ihr sein kann und etwas für mich lesen kann. Einfach nur für mich. Simone hört Hörbücher oder hört die Bücher, die ich nicht mehr nur für sie, sondern auch für mich aussuche.“
Mutter einer erwachsenen Tochter mit schwerer Hirnschädigung
„Um Durchhalten zu können, bedarf es der Sorge um sich selbst […]. Zu den häufigsten Strategien zur Gesunderhaltung gehören Bewegung und Entspannung […].“
Aus „Gesundheitsbezogene Lebensqualität von Müttern mit einem pflegebedürftigen Kind (GesuLeM)“ von Christa Büker und Severin Pietsch, Seite 28
Auch das Treffen mit anderen, um beispielsweise gemeinsam ein Hobby auszuüben, hat für viele eine enorme Bedeutung und kann ein positiver und kraftspendender Anker im Pflegealltag sein.
Darüber hinaus gibt es noch viele individuelle Strategien, um auf sich selbst achtzugeben und sein körperliches und seelisches Wohlbefinden zu erhalten und zu fördern. Jeder und jede findet hier eigene Wege.
„Ich gehe jetzt neuerdings tanzen. Tango! Das tut mir gut, richtig gut. Und es ist mal was anderes als Arbeit und hier. Und das ziehe ich auch durch, hat ein bisschen gedauert. Das gebe ich aber nicht mehr her.“
Mutter eines fünfjährigen Sohnes mit schwerer Hirnschädigung im Frühjahr 2015
Als kleine Anregung listen wir einige angenehme Tätigkeiten auf.
Häkeln,
Sticken
nehmen
Zeichnen
und Freunden
zusammen sein
spiele spielen
rätsel lösen
spaziergang
machen
Kleine Dinge wahrnehmen, die guttun
Versuchen Sie, jeden Tag eine positive Erfahrung aufzuschreiben. Seien Sie dabei am besten so genau wie möglich. Auf der folgenden Doppelseite finden Sie eine Tabelle, die Sie dafür nutzen können.
Eine solche Praxis fördert das bewusste und wiederholte Wahrnehmen von wohltuenden Erlebnissen und begünstigt damit mentale Stabilisierung.
Beschreiben Sie jeden Tag eine positive Erfahrung.
Seien Sie dabei so genau wie möglich.
Tabelle als PDF herunterladen , die Sie um eigene Erfahrungen ergänzen und vervollständigen können.
