In der Reha
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Was kann ich für mein Kind tun?
Wir möchten Ihnen Anregungen geben, was Sie für Ihr Kind und für sich selbst tun können.
Viele Eltern möchten aktiv etwas für ihr Kind tun, sind aber unsicher, wie das am besten geht. Das ist nur allzu verständlich angesichts der so plötzlich veränderten Situation. Ihr Kind, das vor kurzem noch gesund war, zeigt nun womöglich keinerlei oder kaum wahrnehmbare Reaktionen auf Ihre Anwesenheit, Ihre Worte und Berührungen.
Ihr Kind kann Ihnen im Moment nicht sagen, wie es ihm geht und was es braucht. Hinzu kommt die medizinische Versorgung etwa mit einer Sonde und/oder einem Tracheostoma, was nachvollziehbare Berührungsängste und Unsicherheit hervorrufen kann.
Womit können Sie Ihrem Kind konkret helfen? Was tut ihm gut, was ist richtig? Was ist zu viel und ihm möglicherweise eher unangenehm? Hierfür gibt es sicherlich keine pauschale Antwort. Jedes Kind, ob gesund oder krank, ist anders. Doch es gibt Anregungen, konkrete Anleitungen und Tipps von Fachpersonen und auch anderen betroffenen Eltern, die Ihnen vielleicht dabei helfen, Ihre Unsicherheit zu überwinden und Ihrer Intuition zu vertrauen. Denn mindestens ebenso wichtig wie ärztliches, therapeutisches und pflegerisches Personal sind Sie als Eltern für Ihr Kind.

Intuition
An dieser Stelle möchten wir eine ehemalige Mitarbeiterin der Lumia Stiftung und selbst betroffene Mutter zitieren:
„Machen Sie sich klar, dass Sie als Eltern wichtige Personen für Ihr Kind bleiben. Die Ärzte und das Pflegepersonal sind nun vielleicht kompetenter, was die medizinische, körperliche Seite des Krankheitszustandes ausmachen mag. Als engste Vertraute bleiben Eltern jedoch wichtig für ihr Kind. Trauen Sie sich weiterhin zu, zu spüren, wie sich Ihr Kind fühlt und wie es empfindet. Vertrauen Sie auf Ihre Intuitionen. Wenn Sie zum Beispiel denken, Ihr Kind kann Sie hören, dann sprechen oder singen Sie ruhig mit ihm.
Wenn Sie Ihr Kind besuchen, nutzen Sie den Weg zum Krankenbett, um eine große ‚Sorgentasche‘ zu packen. Versuchen Sie dabei Ihre eigenen Gefühle klar zu erkennen: Ihre Traurigkeit, Ihre Angst um Ihr Kind oder Ihre Besorgnis um aktuelle Probleme, über Prognosen und Bemerkungen von Ärzten und Pflegepersonal, was immer da sein mag, packen Sie es sorgfältig in die große Sorgentasche und stellen Sie die Tasche sorgfältig verschlossen vor der Tür des Krankenzimmers ab. Wenn Sie dann die Tür öffnen, seien Sie ganz bei Ihrem Kind. Begrüßen Sie es. Was fühlen Sie dabei? Was fühlt Ihr Kind? Freut es sich, hat es auf Ihren Besuch gewartet? Lassen Sie ihm Zeit, Ihre Anwesenheit zu spüren. Wenn Ihr Kind nicht reagieren kann, lauschen Sie auf Antworten in Ihrem eigenen Innern. Wie liegt Ihr Kind, ist es gut gelagert? Wie sind die Werte, Messungen? Was braucht Ihr Kind jetzt von Ihnen? Möchte es Neues von zu Hause hören? Braucht es sein Kuscheltier oder sein Lieblingslied? Oder möchte es sich an Sie kuscheln und berührt und gestreichelt werden wie als Baby?
Folgen Sie Ihren Eingebungen und Ideen und seien Sie gewiss, dass dies eine Kompetenz ist, die Ärzte und Pflegepersonal nicht haben können, die aber für Ihr Kind sehr wichtig ist.“
Aus „Über die Notwendigkeit zu trauern, denn trauern macht gesund“ von Gudrun und Alexander Streit, Seite 2
Praktische Anleitungen
Über Ihre Intuition hinaus, die Ihnen sagt, was Ihr Kind braucht und ihm guttut, können vielleicht konkrete, anschauliche Tipps und Ideen hilfreich sein.
In der Broschüre „Informationen für Angehörige von Menschen im Koma und Wachkoma“ zeigt der Arzt Andreas Zieger verschiedene Möglichkeiten auf, wie Sie Ihrem Kind Kommunikationsangebote machen können.
Daraus möchten wir Ihnen 2 Beispiele zur Anregung der Sinne vorstellen und zugleich darauf hinweisen, diese immer nur in Absprache mit den behandelnden Therapeutinnen und Therapeuten durchzuführen.
Die komplette Broschüre kann bei der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung kostenlos bestellt werden:
www.hannelore-kohl-stiftung.de/shop/publikationen-gesamtuebersicht
Gefühl
Methode
- Sagen Sie immer, welchen Körperteil Ihres Kindes Sie mit welchem Gegenstand oder Körperteil berühren.
- Berühren Sie Schultern, Arme, Hände, Stirn und Gesicht – Letzteres besonders vorsichtig!
- Atmen Sie mit Ihrem Kind, indem Sie Ihre Hände auf seinen Brustkorb legen.
- Variieren Sie Dauer und Intensität der Berührung.
Beobachten
- Veränderungen der Körper- und Gesichtsspannung
- Kau-, Schmatz-, Mund- und Lippenbewegungen
- angedeutete Bewegungen mit Körperteilen
- Antworten durch Schlucken, Töne oder Stimme
- In frühen Phasen können auch zuerst ausschließlich vegetative „Regungen“ auftreten wie Veränderung der Atmung, der Herzfrequenz oder der Hautfarbe.

Nehmen Sie zum Beispiel
- Gewebe, weiche Baumwolle, Stoffe, raue Wolle, harte Schwämme, nasse Stoffstücke, warmes oder kaltes Wasser, Ihre Hände, Lippen
- gewohnte Gegenstände aus dem Familienleben: Lebensmittel, Pinsel, Ball, Schlüssel, Haarbürsten
- Halten Sie die Hände, streicheln Sie das Gesicht, die Arme, die Schultern, die Brust, den Bauch.
- Betasten und bestreichen Sie gemeinsam mit einer Hand Ihres Kindes sein Gesicht und benennen Sie alle Körperteile, die Sie mit ihm zusammen berühren: Nase, Mund, Stirn, Wange, Augenbraue, Ohren, Kopf, Haare, Brust, Schulter, Bauch usw.
- Sie können dann das Gleiche auch umgekehrt tun, indem Sie mit Ihrem Kind zusammen Ihr eigenes Gesicht usw. betasten, wobei Sie ihm sagen, wo es sich gerade befindet und was Sie spüren.
Achtung!
Die Haut ist gewöhnlich sehr empfindlich. Schauen Sie nach Rötungen, Hautreizungen, Druckstellen, Prellungen, Schrammen und Wunden. Benachrichtigen Sie unverzüglich das Pflegepersonal, wenn Sie irgendeine Auffälligkeit entdecken. Vor allem muss ein Wundliegen Ihres Kindes unbedingt vermieden werden.
Frei nach „Informationen für Angehörige von Menschen im Koma und Wachkoma“ von Andreas Zieger, Seite 23–34
Gehör
Methode
- Sprechen Sie liebevoll mit Ihrem Kind.
- Sagen Sie, wer Sie sind, welches Datum, welche Jahreszeit, welcher Ort, welche Tageszeit gerade ist.
- Erzählen Sie positive Neuigkeiten aus der Familie, über die Stadt, die Gegend, die ganze Welt.
- Lesen Sie kurze Geschichten, Briefe oder Gedichte vor, die Ihr Kind immer mochte.
- Nehmen Sie Familienstimmen auf und spielen Sie sie während des Tages mehrmals für kurze Zeit ab.
- Spielen Sie Stimmen und Musikstücke, die Ihr Kind gern gehört hat und leicht wiedererkennen kann.
- Produzieren Sie Geräusche durch eine Klingel, Klatschen oder Schnipsen mit den Fingern und machen Sie auf sich aufmerksam.

Beobachten
- Drehen des Kopfes zum Geräusch hin oder weg davon
- Körper- und Augenbewegungen (Blinzeln) oder Mimik
- verbale Antworten, Töne oder Unmutsreaktionen
- Geräusche, Töne oder Stimmen müssen kurz und intensiv sein, um eine direkte Reaktion zu bekommen.
Achtung!
- Vermeiden Sie sorgenvolle, negative, belastende und stressige Informationen.
- Machen Sie die Geräusche nicht lauter, als Sie sie selbst für Ihre eigenen Ohren einstellen würden.
- Wenn Sie einen Kopfhörer benutzen, stellen Sie die Lautstärke erst an Ihren Ohren ein, bevor Sie Ihrem Kind den Kopfhörer aufsetzen.
- Stecken Sie den Kopfhörer nicht ins Ohr, sondern bleiben Sie im äußeren Ohrbereich.
- Achten Sie immer genau auf die Reaktionen Ihres Kindes.
Frei nach „Informationen für Angehörige von Menschen im Koma und Wachkoma“ von Andreas Zieger, Seite 34f.
Selbstfürsorge
In dieser belastenden Zeit ziehen sich manche Familienmitglieder mehr und mehr von anderen Personen zurück, weil der Kontakt zu anderen Menschen ihre Kräfte übersteigt. Auch liebevolle Nachfragen nach dem Befinden ihres Kindes und Hilfsangebote von Menschen aus dem Verwandtschafts-, Freundschafts- oder Nachbarschaftskreis können als belastend erlebt werden, weil man nicht immer Antworten darauf findet.
Die psychischen und organisatorischen Belastungen sind immens. Wenn Ihnen Hilfe angeboten wird, scheuen Sie sich nicht, diese anzunehmen und konkret zu benennen, womit Ihnen jemand eine Hilfe wäre. Damit entlasten Sie nicht nur sich selbst. Auch Ihre Verwandten und Bekannten werden dankbar sein, wenn sie Hinweise darauf erhalten, wie sie sich hilfreich einbringen können.
Überlegen Sie einmal, wer Sie wie konkret unterstützen könnte. Was kann Ihnen jemand abnehmen? Wobei kann Ihnen jemand helfen? Kann eine Freundin Sie dabei unterstützen, Anträge zu stellen? Kann jemand aus der Nachbarschaft auch Ihren Rasen mähen? Können Ihre Geschwister Sie im Haushalt unterstützen? Können die Freundinnen und Freunde Ihres Kindes eine CD mit seiner Lieblingsmusik zusammenstellen oder Bilder für die Wand in der Reha-Einrichtung malen? Kann ein Freund die Büchereibücher für Sie abgeben?
Sie fragen sich wahrscheinlich in erster Linie, was Sie für Ihr Kind tun können, und denken weniger an sich selbst. Damit Sie für Ihr Kind da sein, es begleiten, fördern und unterstützen können, brauchen Sie viel Kraft. Kraft, die nicht unbegrenzt vorhanden ist und die sich nicht von alleine wieder auflädt. Aus diesem Grund möchten wir Sie darin bestärken, auch auf sich selbst zu achten.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in unserem Heft „Selbstfürsorge“ .

So mag ich begrüßt werden
Abschließend möchten wir Ihnen zu der Frage, was Sie für Ihr Kind tun können, noch etwas Praktisches an die Hand geben: eine „So-mag-ich-begrüßt-werden“-Karte.
Sie können auf der Karte zum Beispiel ein Foto von Ihrem Kind einkleben und notieren, wie Ihr Kind – Ihrer Einschätzung nach – gerne von anderen Menschen begrüßt werden möchte. Die ausgefüllte Karte können Sie dann beispielsweise in die Nähe
des Bettes oder direkt an das Bett Ihres Kindes hängen, wo sie für alle Besucherinnen und Besucher gut sichtbar ist.
Die „So-mag-ich-begrüßt-werden“-Karte kann eine wirksame Unterstützung sein: Verwandte und Bekannte, die Ihr Kind bereits vor dem Unfallereignis kannten, sind häufig verunsichert, wie sie sich ihm jetzt nähern können, dürfen und sollen. Der Hinweis auf der Karte, dass Ihr Kind beispielsweise gerne begrüßt werden möchte, indem es namentlich angesprochen und an der Schulter berührt wird, schafft Sicherheit für alle Besucherinnen und Besucher und sorgt zugleich für einen respektvollen Umgang mit Ihrem Kind. Auch für das Personal in der Rehabilitationsklinik sind solche Hinweise oft hilfreich.

Karte als PDF herunterladen und selber ausdrucken oder kontaktieren Sie uns, wir schicken Ihnen gerne auch eine Karte zu.