Zwischen Hoffnung und Trauer
Schuldgedanken
Schuldgedanken können in vielfältiger Form auftreten. Bei Menschen, die tiefe Ohnmachtserfahrungen gemacht haben, richten sie sich manchmal gegen sie selbst.
Häufig treten im Anschluss an traumatische Erlebnisse Schuldgedanken auf. Die Schuldfrage bezieht sich dabei nicht nur auf das Bedürfnis herauszufinden, ob es einen juristisch Verantwortlichen für das Geschehene gibt und diese Person bereit ist, die Verantwortung anzuerkennen und zu übernehmen.
Angehörige von Menschen, die Verletzungen, Krankheit oder Tod erlitten haben, stellen sich darüber hinaus nicht selten die Frage, wie sie selbst das schmerzhafte Ereignis hätten verhindern können. Dabei spielen die tatsächlichen Begebenheiten wie räumliche Nähe oder Einflussmöglichkeiten häufig überhaupt keine Rolle. Diese Schuldgedanken entstehen, weil wir in unserer Ohnmacht nach Erklärungen und Möglichkeiten zur (nachträglichen) Einflussnahme suchen.
Schuldzuweisungen können dazu beitragen, den Schmerz der Ohnmacht und der Realität nicht überwältigend werden zu lassen. Beschuldigt man sich selbst oder andere, kann man in Gedanken die Situation im Nachhinein veränderbar machen und damit Macht über sie gewinnen. Sagt man „Hätte ich doch …“, räumt man damit die Möglichkeit ein, die Situation hätte sich durch eigenes Eingreifen verändern oder gar verhindern lassen. Es ist wichtig, solche Gedanken und Äußerungen zu respektieren, sowohl bei sich selbst als auch bei anderen. Niemand lastet sich freiwillig Schuldgedanken und möglicherweise Bestrafungen an, dies geschieht immer aus großer seelischer Not.

„Schuldvorwürfe gegen sich selbst sind ein wichtiger Überlebensmechanismus, den nur Menschen wählen, die sich durch ein Ereignis in ihrem Leben und ihrer Identität bedroht sehen. […] Diese Bedrohung wird immer subjektiv empfunden und kann nicht von außen beurteilt werden!“
Schuldvorwürfe lassen sich nicht durch einen freundschaftlichen Rat oder eine Ent-Schuldigung von außen vertreiben. Dagegen kann es für die Betroffenen sehr hilfreich sein, wenn ihre Äußerungen ernst genommen werden. Vielleicht gelingt es Ihnen, Ihren eigenen Schuldgedanken oder denen Ihrer Mitmenschen offen und interessiert zu begegnen.
Schuldgedanken können jedoch auf Dauer die Verarbeitung des Geschehenen erschweren. Sie fungieren oft als Schutzschild gegen allzu schmerzhafte Gefühle und können damit einer Verarbeitung und Trauer im Wege stehen. Des Weiteren ist es möglich, dass sie zusätzliche unangenehme Gefühle verursachen oder mit harten Strafen gegen sich selbst einhergehen.
Wenn Sie Schuldgedanken bei sich beobachten und den Wunsch haben, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ist dies zum Beispiel im Rahmen von Psychotherapie oder Trauerarbeit möglich.
Hinweis:
Kinder sind hier eine Ausnahme. Für sie sind Schuldgedanken keine hilfreiche Konstruktion. Hier ist es wichtig, sie zu entlasten. Sie benötigen die kraftvolle und beruhigende Aussage von erwachsenen Autoritätspersonen: „Du trägst keine Verantwortung an der Krankheit deines Bruders oder deiner Schwester.“ Geben Sie dem Kind im Anschluss eine alternative Erklärung für das Geschehene.
Weiterführende Informationen finden Sie auch in unserem Heft „Geschwisterkinder“ und im Buch „Schuld – Macht – Sinn“ von Chris Paul.
