Zwischen Hoffnung und Trauer
Trauma – eine seelische Wunde
Der Begriff Trauma stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet übersetzt so viel wie „Wunde“ oder „Verletzung“. In der Medizin wird der Begriff für bestimmte körperliche Verletzungen verwendet, aber auch im Zusammenhang mit dem Erleben von schwerwiegenden Ereignissen.
Eine Traumatisierung kann beim Erleben eines Ereignisses entstehen,
- wenn Leben oder Gesundheit von mir oder einem mir nahestehenden Menschen bedroht ist.
- wenn ich das Ereignis nicht bekämpfen und nicht vor ihm flüchten kann (Kampf und Flucht sind vor Gefahren schützende Reflexe, die Mensch und Tier angeboren sind).
- wenn es mich durch Heftigkeit, Plötzlichkeit, Intensität oder Dauer in einen überflutenden Stresszustand versetzt.
- wenn ich dem Ereignis hilflos und ohnmächtig ausgeliefert bin.
Unser Gehirn reagiert bei Bedrohung sofort mit der Einleitung ganz bestimmter Maßnahmen: So werden etwa Stresshormone wie Adrenalin ausgeschüttet, um die Situation durchzustehen und den Körper leistungsfähiger für Kampf und Flucht zu machen, kurz gesagt, fürs Überleben. Zugleich werden bestimmte Funktionen des Gehirns, die normalerweise unser Denken und Handeln steuern, außer Betrieb gesetzt, um Energie zu sparen.
Sind Kampf oder Flucht nicht möglich und kommt niemand zu Hilfe, greift unser Gehirn zu anderen Maßnahmen, um uns der Situation entkommen zu lassen: Es verändert die Wahrnehmung. Durch den Überlebensmechanismus der Schockstarre – man spricht auch von „Freeze“ (Einfrieren) – gelingt es dem Menschen, sich innerlich vom Geschehen zu distanzieren. Der Körper ist bewegungslos, aber hoch angespannt, um zu einem späteren Zeitpunkt der Situation real entkommen zu können. Dauert der Zustand zu lange an, erschlafft der Körper, um Kräfte zu sparen.
Im Zustand der Schockstarre werden Teile des Erlebnisses – Bilder, Gefühle oder Gedanken – einzeln abgespeichert, man sagt auch „fragmentiert“. Das ist vergleichbar mit der Zersplitterung eines Spiegels, dessen einzelne Scherben unverbunden im Gedächtnis abgelegt werden.
Diese Maßnahmen unseres Gehirns sind in solch extrem bedrohlichen Situationen absolut sinnvoll. Dabei muss ich nicht unbedingt selbst unmittelbar der Gefahr ausgesetzt sein. Traumatische Reaktionen können auch entstehen, wenn ich ein solch furchtbares Ereignis sehe oder erfahren muss, dass ein geliebter Mensch einer bedrohlichen Situation ausgesetzt ist.

Als Folge einer Traumatisierung kommt es zu einer akuten Belastungsreaktion, die in den ersten Wochen ganz normal ist und ohne oder mit nur geringer Unterstützung ausheilen kann. Typisch für die Belastungsreaktion sind bestimmte Folgen im Denken, Fühlen und Verhalten:
- Um die Erinnerungssplitter wieder zusammenzuführen, erschaffen Körper, Geist und Seele Verarbeitungsversuche. Es können zum Beispiel folgende Symptome entstehen: Albträume; Erinnerungen an das Ereignis, die wie aus heiterem Himmel auftauchen; blitzartige Bilder und Gefühlsstürme. Das Gehirn spült sozusagen immer wieder einzelne, unsortierte Splitter an die Oberfläche.
- Als Folge davon versucht das Gehirn für Beruhigung und Erholung zu sorgen. In dem Zusammenhang können beispielhaft folgende Symptome auftreten: Vermeidung von bestimmten Situationen und Orten, soziale Isolation, Erinnerungslücken oder emotionale Empfindungslosigkeit.
- Weil der Körper häufig noch nicht verstanden hat, dass die traumatische Situation vorüber ist, können Übererregungssymptome auftreten. Hierzu gehören zum Beispiel Zittern, Schwitzen, Unruhe, Herzrasen, Schlaflosigkeit, Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und Wutausbrüche, erhöhte Wachsamkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, aber auch Starreempfindungen.
Häufig gibt es Auslöser, die diese Symptome hervorholen, die sogenannten Trigger. Diese können Personen oder ähnliche Situationen, aber auch Gerüche, Geschmäcke, Geräusche und Ähnliches sein.
„Die Wahrnehmungsreste lösen wieder Gefühle, Gedanken, Bilder und/oder Körperempfindungen aus der alten Situation aus.“
So kann etwa der Klang eines Martinshorns dafür sorgen, dass wir uns mit geistigem, emotionalem und körperlichem Erleben wieder in der Situation der Traumatisierung befinden, obwohl diese vergangen ist.
Manche Menschen denken, dass mit ihnen „etwas nicht stimmt“, weil sie scheinbar irrational reagieren. Das ändert sich, wenn sie wissen, dass ihre Reaktion im Zusammenhang mit dem schlimmen Erlebnis stehen kann. Die Reaktion war in der traumatischen Situation angemessen und sinnvoll, aktuell in der heutigen Situation sind die „eingefrorenen“ Verhaltensweisen jedoch wenig hilfreich, manchmal sogar stark einschränkend.
Bestehen solche Symptome auch noch oder erstmalig nach vielen Monaten oder Jahren oder treten sie sogar häufiger und stärker auf, ist das ein Hinweis darauf, dass das Erlebte noch nicht verarbeitet ist. Traumafolgen sind oft gut zu behandeln. Es gibt verschiedene therapeutische Methoden und unter Umständen sind sogar nur wenige Behandlungseinheiten nötig.
Häufig können Symptome auch ohne eine Konfrontation – Erinnern und Wiederdurchleben – zum Teil oder vollständig gemildert werden. Die Kosten für eine Traumatherapie werden von der Krankenkasse übernommen. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit entsprechender Fachausbildung finden Sie zum Beispiel auf der Internetseite der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie:
Zur Verarbeitung einer traumatischen Erfahrung können auch körperliche Bewegung, Entspannungs- und Imaginationsübungen beitragen. Sie helfen, Anspannung abzubauen und sich aus der Erstarrung zu lösen. Außerdem unterstützen sie beim Umgang mit belastenden Bildern und Gefühlen. Mittlerweile gibt es eine umfangreiche Literatur zum Thema Trauma und Ratgeber für Betroffene. Eine kleine Auswahl von Titeln finden Sie ebenfalls unter www.degpt.de.
Über die Notwendigkeit zu wissen, dass ich nun eine Wunde habe:
Meine Wunde wird mich mein Leben lang begleiten, auch wenn sie sich verändert, besser oder nur schlecht verheilt oder zur Narbe wird. Sie wird mir immer wieder mal wehtun. Ich werde herausfinden, welche die richtige Salbe ist, und sie regelmäßig eincremen. Ich werde sie kennen und wissen, ob sie wetterfühlig ist. Ich werde mein Leben mit dieser Wunde planen.
