Schwere erworbene Hirnschädigungen und Wachkoma

+ Kapitelübersicht anzeigen

„Meistens sage ich, dass Constantins Herz geholpert hat, er lange sauerstoffunterversorgt war und dass er jetzt in einem Zustand ist, der gemeinhin als Wachkoma bezeichnet wird, was es aber nicht trifft. Er ist ja nicht dauerhaft im Bett und an Maschinen angeschlossen. Er lebt ja ‚ganz normal‘ mit uns zu Hause. Und Constantin ist ja wach und nicht im Koma. Wenn mehr Zeit ist, erkläre ich den Menschen, dass Constantins Wahrnehmung gestört ist und er ein anderes Bewusstseinsniveau hat.“

Mutter eines 10-jährigen Sohnes mit schwerer Hirnschädigung im Juli 2016

Eine schwere Hirnschädigung kann durch einen Unfall oder ein anderes Ereignis erworben werden. Wenn durch eine Hirnschädigung eine anhaltende schwere Bewusstseinsstörung auftritt, wird dieser Zustand umgangssprachlich oft als Wachkoma bezeichnet. 

Dem umgangssprachlichen Begriff Wachkoma entsprechen mehrere medizinische Fachbegriffe: Syndrom reaktionsloser Wachheit, apallisches Syndrom, apallisches Durchgangssyndrom, vegetativer Status (engl. vegetative state) oder Coma vigile. Gerade bei betroffenen Kindern ist es auch möglich, dass das ärztliche Fachpersonal keinen der genannten Begriffe verwendet, sondern von einer „schweren Hirnschädigung“ spricht oder den Zustand des Kindes als „nicht kontaktfähig“ beschreibt.

Die verschiedenen Begrifflichkeiten werden von Expertinnen und Experten aus Medizin, Therapie und Pflege kritisch diskutiert. Auch Angehörige nutzen verschiedene Beschreibungen für den Gesundheitszustand ihrer Lieben und können sich mit manchen Begriffen besser, mit anderen schlechter identifizieren. 

Wie im eindrucksvollen einleitenden Zitat deutlich wird, reicht ein Begriff oft ohnehin nicht aus, um anderen das komplexe und schwer zu fassende Krankheitsbild zu beschreiben.

In den nachfolgenden Ausführungen verwenden wir vorwiegend den Begriff Wachkoma, der auch in der Literatur oft benutzt wird. In unsere Sichtweise beziehen wir auch Kinder ein, bei denen eine langsame Besserung zu beobachten ist. Sie befinden sich dann in einem minimalen Bewusstseinszustand (engl. minimally conscious state), bei dem erste gezielte Bewegungen, ein Befolgen einfacher Aufforderungen oder eine beginnende Kommunikationsfähigkeit vorliegen.

Auf den folgenden Seiten erfahren Sie unter anderem, wie die Diagnose gestellt wird und welche Behandlungs- und Therapieansätze bestehen. Außerdem erhalten Sie Anregungen, was Eltern für ihr Kind in dieser Situation tun können. In unseren Ausführungen nehmen wir Bezug auf Fachliteratur, die wir in Auszügen zitieren. Es erfolgt somit keine medizinisch vollständige Aufarbeitung des Themas. Bitte verstehen Sie diese Informationen vielmehr als Übersicht über die wesentlichen Aspekte des Krankheitsbildes, die wir unter Hinzuziehung von Fachleuten zusammengestellt haben.

Ein kleines Kind liegt geborgen in einem kreisförmigen Nest.

Es wird geschätzt, dass sich weltweit fast 93.000 Kinder unter 15 Jahren im Wachkoma befinden, davon unge­fähr 6.ooo in Europa und in Deutschland ca. 600 Kinder.

Aus „Wachkoma“ von Adam Geremek, Seite 37