Schwere erworbene Hirnschädigungen und Wachkoma

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Prognose

Ein Wachkoma kann Wochen, Monate, aber auch Jahre andauern. Eine verlässliche Prognose zur Entwicklung ist nicht möglich, da diese von verschiedenen individuellen Faktoren abhängt. Bei vielen intensiv betreuten Patientinnen und Patienten können jedoch Entwicklungserfolge festgestellt werden. Im Allgemeinen gilt: Je länger eine Patientin oder ein Patient im Wachkoma bleibt, desto ungünstiger ist die Prognose.

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Schädel-Hirn-Verletzungen und speziell das Vollbild des apallischen Syndroms gehören zu den Krankheitsbildern, deren Folgen selbst für die moderne Medizin nur schwer kalkulierbar sind. Beim Verständnis und bei der Behandlung dieser komplexen Schädigungen sind noch viele Fragen offen. Dazu gehört auch die Frage nach zuverlässigen prognostischen Kriterien.

Bei jedem Betroffenen kommt es zu einem ganz individuellen Verlauf, so dass definitive Aussagen über die Erholung nach einem Schädel-Hirn-Trauma bzw. apallischen Syndrom vor allem in der Anfangsphase sehr schwierig sind. Selbst mit den modernsten diagnostischen Möglichkeiten ist es oft nicht möglich, verbindliche Aussagen über das Erwachen aus dem Koma und den Verlauf der posttraumatischen Entwicklung zu treffen, wie das beispielsweise nach einer Arm- oder Beinfraktur möglich ist.

Studien aus den USA und einigen europäischen Ländern belegen, dass trotz modernster diagnostischer Möglichkeiten bei 5 bis 15 % der untersuchten Komapatienten eine falsche negative Prognose gestellt wurde. Jeder fünfte bis sechste Betroffene erholte sich besser, als von den Ärzten prophezeit wurde.

In der Literatur finden sich viele Berichte über Menschen, die bewusstlos waren und erst nach langer Zeit wieder erwachten, obwohl sie von den Ärzten längst aufgegeben waren. Die Einzelschicksale geben ein Indiz dafür, dass selbst prognostische Aussagen, die mit Hilfe physiologischer Parameter getroffen werden, nicht als sicher gelten.

Auszug aus „Kommunikation im Wachkoma“ von Benjamin Benthaus, Seite 93

Sucht man dennoch nach Kriterien, die zur Prognose herangezogen werden, findet man in der Fachliteratur Hinweise auf folgende Faktoren: 

Die Art der Schädigung: Die Regeneration des Gehirns verläuft im Falle eines Schädel-Hirn-Traumas in der Regel günstiger als im Falle eines Sauerstoffmangels.

Das Alter der Erkrankten: Kinder und Erwachsene unter 40 Jahren haben eine bessere Prognose als ältere Patientinnen und Patienten. 

Die Dauer des Bestehens der Schädigung: Innerhalb der ersten 3 Monate nach der Schädigung sind die Chancen auf Regeneration höher als danach. Bei einem Schädel-Hirn-Trauma als Ursache dehnt sich dieser Zeitraum noch auf bis zu 12 Monate aus.

Auch in der Fachliteratur wird bei Angabe dieser Prognosekriterien immer darauf hingewiesen, dass eine Prognose stark von den individuellen Faktoren abhängig ist und schwer verlässlich gestellt werden kann. Einzelfälle, in denen es entgegen aller hier genannter Faktoren zu deutlicher Verbesserung gekommen ist, werden auch hier angeführt.

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Soziale Perspektive

Gute Einflussmöglichkeiten auf die soziale Perspektive und Teilhabe, auch bei schlechter medizinischer Prognose, bestehen durch häuslich-familiäre Integration, qualifizierte Langzeitversorgung mit pflegerischen und therapeutischen Hilfen sowie durch Integration in eine Wohngruppe und Teilhabe am Gemeinschaftsleben. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass weniger die medizinische Prognose als vielmehr die soziale Perspektive und Teilhabe für das Langzeitüberleben bedeutsam zu sein scheinen. 

Menschen im Wachkoma, die in eine wohnliche und vertraute Umgebung integriert wurden, und für die durch bestimmte Aktivitäten für eine (passive) Teilnahme an ihrem Wohnumfeld gesorgt wurde, geht es besser als jenen Menschen, denen keine entsprechenden Angebote gemacht wurden; ihr Zustand war stabiler, aufmerksamer und entspannter. Familiärer Zusammenhalt und soziale Netzwerkbildung scheinen für die Lebensqualität und für Chancen zur Teilhabe entscheidend zu sein.

Auszug aus „Wachkoma - eine medizinische Einführung“ von Andreas Zieger in „Wachkoma – Betreuung, Pflege und Förderung eines Menschen im Wachkoma“ von Peter Nydahl, Seite 17f.

Tipps für Eltern:

Liebe Eltern,

die Erkrankung Ihres Kindes ist sehr komplex, eine sichere Prognose zur Entwicklung Ihres Kindes kann nicht gestellt werden. Wir möchten Ihnen empfehlen, im Umgang mit Ihrem Kind Ihrem eigenen Gefühl zu folgen. Eine behutsame Ansprache und Förderung wird Ihrem Kind guttun.  

Sie werden viele Entscheidungen für Ihr Kind treffen – sowohl in alltäglichen Belangen als auch in grundsätzlichen Fragen. Vertrauen Sie auch hierbei auf Ihr Gefühl so wie vor dem Unfall bzw. Ereignis. Sie kennen Ihr Kind am besten und geben ihm Sicherheit.

Wir möchten Sie gleichfalls ermutigen, Ihren Familienalltag gemeinsam mit Ihrem Kind zu gestalten und auch dem Alltag Ihres Kindes eine Tagesstruktur zu geben. Dies geschieht natürlich erst nach der Entlassung aus der Reha. Wie alle Kinder in Deutschland haben auch schwerkranke Kinder Schulpflicht. Sofern Ihr Kind gesundheitlich stabil ist, bietet der Besuch einer geeigneten Schule oder eines Kindergartens Möglichkeiten einer individuellen und altersgerechten Förderung. Gleichzeitig hat Ihr Kind Kontakt zu anderen gleichaltrigen Kindern. Eine feste Tagesstruktur gibt Ihrem Kind Orientierung und Sicherheit und ermöglicht auch Ihnen ein wenig Entlastung.

Wenn Sie es sich und Ihrem Kind zutrauen, versuchen Sie auch, Freizeitaktivitäten zu planen und umzusetzen. Beziehen Sie wenn möglich helfende Hände von Pflegekräften, aus dem Freundschaftskreis oder von Verwandten mit ein. Auch die passenden Hilfsmittel können Ausflüge und Aktivitäten erleichtern. Freizeitaktivitäten können Ihrem Kind und auch Ihnen Anregung bieten und der ganzen Familie ein Stück Identität schaffen. 

Die Situation erfordert auch von Ihnen enorme körperliche und seelische Kräfte. Seien Sie daher ebenfalls im Umgang mit sich selbst achtsam, soweit es geht. Es ist eine gute Organisation des Pflegealltags erforderlich, um sich für eigene Bedürfnisse Freiräume – wenn sie auch klein sein mögen – zu schaffen. In „Selbstfürsorge“, das ebenfalls in dieser Ratgeber-Reihe erschienen ist, geben wir Ihnen verschiedene Anregungen zum guten Umgang mit sich selbst.